Literaturgefluester

2013-09-11

Die Welt ist meine Innerei

Filed under: Uncategorized — jancak @ 08:21

Weiter geht es mit der „Alpha-Shortlist“ und den Büchern aus dem „Septime-Verlag“ und wieder wird es sehr poetisch mit den „Reisebriefen und den Bildern“, der 1989 in Graz geborenen Valerie Fritsch, die an der Akademie für angewandten Fotografie studierte.
Ich kenne sie schon lange und relativ gut, seit den legendären Textvorstellungen mit Angelika Reitzer, wo ich die junge Frau, nicht viel über zwanzig Jahre alt mit glänzenden Augen von ihren Erfahrungen in Bordellen, in denen sie Studien machte, erzählen hörte.
Eine höchst poetische Schreiberin, die dann auch bald den FM4-Preis gewonnen hat, in die GAV aufgenommen wurde und wie ich auf ihrer Website ersah, schon viele Publikationen hat.
„VerkörperungEN“, habe ich im Frühling im Schrank gefunden, steht auf meiner Leseliste und muß nun noch ein wenig warten, weil ich gleich mit dem neuen Buch beginne, das vorigen September erschienen ist und die Vorjurie aus der Hauptbücherei, die unter anderen aus Claudia Bittner, Christian Jahl mit dem ich mich bei der gestrigen Eröffnung der Fotoausstellung „Alt, umsorgt, versorgt“ über die Shortlist unterhalten habe und Rudolf Kraus besteht, für den Literaturpreis ausgewählt hat.
Mit Recht, denn es ist ein wunderschöner Fotoband mit Briefen an den Liebsten aus Berlin, Äthiopien, Amsterdam, Peru, Moskau, Asien, Bangladesch, Madagaskar und Havanna, die Valerie Fritsch von 2008 bis 2011 aufgesucht haben dürfte.
Einen Prolog gibt es dazu auch, der von den „Orten erzählt“, die zu Valerie Fritschs „Schicksal wurden und ein Schlußkapitel über das „Meer“.
„Ich falt sie Dir zu Briefen“ schreibt die Autorin und „schick Dir meine kleine Welt.“
Beginnen tut es mit Berlin, diese hippe, schicke Stadt, die sich in den letzten Jahren ja wieder einmal sehr gewandelt hat und Valerie Fritsch ist ja zu jung, um das grau düstere Ostberlin live erlebt zu haben. So schreibt sie ihrem Liebsten im Februar 2008 und erzählt ihm von den „Damentoiletten, wo ein Klavier vor den Kloschüsseln steht, als wolle es gespielt werden, während man sich erleichtert oder die Seele aus dem Leib kotzt.“
„Ich reise nie ohne Sehnsucht. Ich denke: ohne Sehnsucht kann man unmöglich Zug fahren.“, schließt sie diesen Brief. Dann geht es nach Afrika, nach Äthiopien, wo sie im August 2009 aus Hawassa den Geliebten schreibt und zugibt, daß sie „zehn kleine Negerlein“ auf den Lippen hatte, als sie aus dem Flugzeug stieg und die „sechs schwarzen Putzfrauen“ beobachtete, die „synchron die weißen Böden schruppen“.
„Äthiopien ist ein wundes Land“, schreibt sie weiter und von den „Pferdegerippen, die bleich am Ufer liegen.“
Dann arbeitet sie in einem Kinderkrankenhaus und ringt mit der Sprache. „Ich bin Schriftsteller und Analphabet gleichermaßen und schreibe mit der Hand, wenn ich verzweifelt versuche, zu denken und die fremden Bilder der Tage zu entziffern.“
Dann geht es in die äthiopischen Bordelle, wo die Nutten hochgewachsen wie Berge und schwarz wie Katzen in der Nacht sind, wenn die Freier sie in die Zimmer drängen.“
Höchstpoetisch dieser Reisebericht aus einem sehr armen und wahrscheinlich sehr schwierigen Land, dem Valerie Fritsch, so schöne Wortbilder abringen kann.
Dann kommt ein Bildteil der Fotografin, man sieht die Kinder mit den großen Augenhöhlen und verschleierte Frauen von hinten, bevor es wieder nach Europa und nach Amsterdam geht, wo Valerie Fritsch natürlich auch das „Rotlichtviertel“ beschreibt, „durch das die Mütter am Nachmittag seelenruhig ihre Kinderwägen schieben, während Amsterdam in der Nacht zur Piratenstadt im Kleinformat wird.“
Aber eigentlich hat Valerie am 3. 4. 2010 Geburtstag, beziehungsweise feiert sie ihn mit Schokoladetorte und Minztee, wie „Dschungel im Glas“, wie sie dem Liebsten schreibt.
„Ich werde alt.“
Ganze einundzwanzig Jahre wenn ich richtig rechne und mit der Sprache den „Pffertjes und den Pannekoeken“ hat sie auch ihre Probleme.
Dann gehts nach Peru, „wo die Luft dünn ist und die Affen in der Küche mit dem Geschirr klimpern“, während sie an den Liebsten schreibt.
„Die Straße in der ich lebe“, schreibt sie weiter „ist voll von Pollerias und hier gibt es bloß Huhn und Internet.“
„Die Stadt würde dir gefallen, Liebster. Gegen Halsschmerzen nimmt man hier keine Medikamente, aber Maracuja und dunkle Schokolade.“
In Moskau wird die U-Bahn beschrieben, „die geheime, die den unterirdischen Bunker des Kremls und der Geheimdienste verbinden soll und manche halten sie bloß für eine Privat U-Bahn Putins.“
Und Valerie Fritsch meint, daß sie keinen Grund hätte nach Moskau gekommen zu sein, „aber einen Urgroßvater, der einst Kriegsgefangener gewesen war in Novosibirsk.“
Gewohnt wird in „einem dunklen Schlafsaal, in dem man monatelang wohnen kann, ohne jemals mehr als ein paar Rubeln zu zahlen“ und zuletzt „mit Exilkubanern im fünfzehnten Stockwerk eines russischen Studentenheims“, bevor es nach Asien, das heißt nach Vietnam, Thailand und Malaysia weitergeht.
„Hier brennt der scharfe Ingwertee in den Gebeinen“, sie steht „vor Bombenkratern, in dem nach dem Krieg einst hungrige Elefanten gefallen sind und es wird „tagaus tagein aus hellen Kokusnßen getrunken.“
Fotografien gibt es wieder auch, so einen Hund der hinter einem Grabstein hervorlukt und viele Lampions, die sowohl das Straßenbild Malasya als das von Vietnam beherrschen.
Dann gehts auf der Reise „dem Verschwinden hinterher“, nach Bangladesh, wo man im Hotel ankreuzen muß, „welche Hautfarbe man trägt und wählt zwischen Dark, White und Medium“, einen „Stoppover Tag in Buabai“, wo sie einen „arabischen Immobilienhändler“ besucht, „den ich irgendwo in den dunklen Nächten Moskaus traf.“
Und dann nach Madagaskar „ans Ende der Welt“, wo die „artigen schwarzen Kinder mit blütenweißen Zähnen „Bonjour Madame“ grüßen und man „unweigerlich an Damen mit Spitzensonnenschirmen aus längst vergangenen Zeiten und das schwerfällige Lachen der Kolonialherren unter der Hitze“ denkt. Und das „Französisch ist unter aller Sau und reicht bloß, um zu fragen, ob jemand mit mir schlafen möchte, und anzumerken, daß ich ein Briefträger bin.“
Zuletzt schreibt sie im Dezember 2011 dem Liebsten aus Havanna „dem Herzen der Revolution“, wo die „Propagandaplakate zwar den Kommunismus predigen als einzigen Ausweg aus der Wirtschaftskrise, aber die Ikonen Guevaras und des Commandante keine Miene verziehen.“
Ein wirklich sehr poetisch eindrucksvolles Buch einer sehr jungen Frau, die durch die ganze Welt reist, wenn man die poetischen Reiseimpressionen und Blickrichtungen eines älteren Sprachkünstlers haben will, ist man mit Julian Schutting gut beraten und es ist auch sicher interessant, die sprachlichen Ergüße beider zu vergleichen und manche Orte, wie beispielsweise Moskau haben auch beide bereist und beschrieben.
Ich bin nicht ganz sicher, ob es Valerie Fritschs Bildband in die Finalrunde schaffen wird, die wahrscheinlich eher doch den Romanen vorbehalten sein wird, wenn man aber ein ästehtisch schönes Geschenk unter den Christbaum legen will, das Reisesehnsucht wecken kann, ist man mit „Die Welt ist meine Innerei“ sicher gut beraten.

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