Literaturgefluester

2016-03-10

Doppelte Bibliografieführung

Manchmal bekomme ich ungewöhnliche Bücher angeboten, die sonst an mir vorbeigegangen wären. Jutta Piveckas „Punk Pygmalion“ beispielsweise, aber auch „Fledermausland“, Gard Meneberg „Absurde Menschheit“, vielleicht auch Manfred Lagler-Regalls Bücher, der mir ja immer so getreuliche Kommentare schickt und jetzt ist wieder so ein Buch aus Leipzig, vielleicht sogar aus dem Literaturinstiut gekommen.

„Spector Books“ hat die „Doppelte Biografieführung“ eines Francis Nenik herausgegeben, von dem im Klappentet steht, daß er als Bauer in Leipzig lebt und in seiner Freizeit schreibt.

Mehrere Bücher sind von ihm schon erschienen für das „Wunder von der doppelte Biografieführung“ hat er einen Award erhalten, den „Wikipedia-Eintrag gibt es nur auf Englisch und das Buch behandelt vier Lebensläufe von vier irgendwie unbekannten, untergegangenen oder verschollenen Dichtern.

„Das Wunder der doppelten Biographieührung“ ist dem Engländer Nicholas Moore 1918-1986 und dem Tschechen Ivan Blatny 1990 bis 1990, also nur ein Alter Unterschied im Geboren werden um im Sterben, gewidment und die doppelte Biografieführung besteht darin daß die beiden Lebensläufe seitenweise einander gegenübergestellt wurdenund oft mit den selben Sätzen beginnen:

„Als der Literaturkritiker George Steiner im Jahr 1968 die Einsendungen zu einem unter seiner Federführung stehenden Baudelaire-Übersetzungs-Wettberwerb der Sunday Times durchsah, dürfte er sich ein ein wenig gewundert haben: Irgendjemand hatte über dreißig Versionen ein und desselben Gedichts eingereicht.

„Als der Journalist Jürgen Serke im Jahr 1981im St. Clemens Hospital in Ipswich/England auf einen schmächtigen Mann mit einer kleinen Schnittwunde im frisch rasierten Gesicht traf, dürfte er sich ein wenig gewundert haben: Der Mann war vor über dreißig Jahren für tot erklärt worden“

Seite für Seite geht das so. Auf der einen Seite weiß, auf der anderen schwarz und beide Dichter, die in England lebten, von ihnen gibt es „Wikipedia Einträge“ waren in ihrer Jungend berühmt.Nicholas Moore wurde zu den „Neuen Apokalyptikern“ gerechnet, Ivan Blatny gehörte der „Gruppe 42“ an.

Dann dürfte bei beiden der Lebenslauf gekippt sein, bei dem Engländer war es, glaube ich, die Scheidung, die ihm von der Literatur in den Gärtnerberuf brachte. Dann bekam er Diabetes, saß im Rollstuhl, bis er Beaudelaire zu übersetzen begann und in den frühen Achtzigerjahren auch wieder entdeckt wurde.

Nicholas Blatny ist nach dem zweiten Weltkrieg in die tschenische KSC eingetreten und 1948 mit einer Schriftstellerdelegation nach London gefahren. Von dort ist er nicht mehr zurückgekommen, hat sich vom Geheimdienst verfolgt gefühlt. Es wurde auch eine Psychose diagnostiziert, so daß er den Rest seines Lebens in psychiatrischen Einrichtungen verbrachte.

Dort hat er geschrieben und geschrieben, die Pfleger haben seine Gedichte aber immer als Müll weggeworfen, bis ihn eine ehemalige Krankenschwester entdeckte, seine Gedichte nach Canada schickte, wo sie auch veröffentlicht wurden.

Die nächste Geschichte, die schon im „Merkur“ abgedruckt wurde, ist dem südafrikanischen Lyriker, Universitätsprofessor und Freiheitskämpfer Edward Vincent Swart, 1911- 1962, gewidmet, auch ein Unbekannter, denn im Netzt findet man nicht sehr viel über ihn und Frances Neniks Text „Zu Tode gelebt“ ist auch auch sehr kurz und gibt auf diese Art und Weise über die Fakten seines Lebens Ausdruck, denn Nenik Anliegen war, steht im Klappentext, nicht die Biografien der Dichter zu erzählen, sondern an ihrer Hand das vorige Jahrhundert verständlich machen.

Dann geht es zum dritten und längsten Text, der mit seinen über zweihundert Seiten ein eigenes Buch füllen könnte, um den DDR-Schriftsteller Hasso Grabner, 1911 in Leipzig geboren, 1976 in Werder gestorben, wegen dem ich das Buch eigentlich als Leipzig Lektüre mitnehmen hätte können, aber auf einer Buchmesse kommt man ja nicht zum lesen und es ist ein Rezensionseemplar, das eigentlich schon im November kommen hätte sollen, also nicht zu lange warten.

„Geschichte als Groteske“, titelt sich die Erzählung. In einem sehr ironisch lakonischen Ton wird hier das Leben des unehelich geborenen Arbeiterkindes erzählt, das eine Buchhändlerlehre machte, sich früh der kommunistischen Jugend anschloß, politisch tätig war, als die Nazis kamen verhaftet und nach Buchenwald geschickt wurde, dort einen Teil der späteren DDR-Führungselite kennenlernte und als der Krieg sich langsam als aussichtslos erwies, in einem Strafabattlion nach Griechenland und Albanien geschickt wurde. Dort kam er zu höchsten Ehren und Hitlerohrden.

„Grabner selbst ist die Verleihung schrecklich peinlich, doch der Kompanierchef rettet die Sitatuion auf Seine Weise. Er brüllt: „Siehst du, Grabner, du altes Kommunistenschwein, jetzt mußt du doch noch mit dem Hakenkreuz auf dem Bauch herumlaufen!“

Grabner  desertiert, läßt sich in Leipzig in ein evangelisches Spital einweisen, seine Grantasplitter zum Teil entfernen,  entkommt so der Verhaftung, und als  die  DDR entsteht, kommt er sehr bald zu Amt und Würden und wird zuerst zum Rundfunkintendaten, obwohl es dort nichts zu intentieren gibt, ernannt. So läuft er herumund sammelt Musiksinstrumente, da er aber abald den russischen Besatzern unliebsam auffällt, wird er entlassen und zum Betriebsleiter einiger Kombinate bestellt, obwohl er auch von Kohle und der anderen Industrie keine Ahnung hat.

Er tut was er kann, hat aber eine große Klappe und gerät mit den Parteigranden durch seine unliebsamen Ansichten und moralischen Vergehen, er dürfte auch ein Frauenliebhaber gewesen sein, immer wieder in Konflikt, die er dadurch zu lösen schien, daß er mit  seinen Anklägern skatspielen ging, dann auch zum Schriftsteller wird und viele Romane und Gedichtebände zum Teil auch in hoher Auflage herausbrachte, was ihm aber auch nicht viel einbrachte. Als er schon sehr krank ist, will er 1974, zum zweiten Mal heiraten, bis dahin war er das mit einer anderen Frau, mit der aber kaum Kontakt hatte. Auch das gerät zur Farce und 1976 als er sich für Solschenizyn eingesetzt hat, wird er noch einmal vor die Parteikommission zitiert.

„Für weitere Worte das weiß er, bleibt keine Zeit. Also öffnet er die hinter ihm liegende Tür, tritt ins Freie und geht.“

Bei den Danksagungen  werden es ganze Reihe von Personen angeführt, die Francis Nenik Auskunft über Hasso Grabners Leben gaben, darunter werden auch seine Stasi Akten, die sehr lang und umfangreich waren, angeführt.

Ein interessantes Buch. Mal sehen, ob ich es  und den Verlag in Leipzig auf der Messe finden kann.

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