Literaturgefluester

2012-12-18

Der Russe ist einer, der Birken liebt

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:07

Nein, Olga Grjasnowas Erfolgsbuch, mit dem die 1984 in Baku geborene, die in am Leipziger Literaturinstitut studierte, auf die Longlist des letzten dBP kam und die mich in Leipzig durch ihre andere Art die Migrantenfrage zu betrachten, sehr beeindruckte, hat weder etwas mit Birken noch mit Russen zu tun, wie sie in Interviews kundgibt, obwohl es ja doch irgendwie, eine jüdisch russische Familie war, die aus Baku mit der kleinen Mascha nach Deutschland flüchtete, das Zitat stammt aus Tschechows „Drei Schwestern“ und, daß die Russen Birken lieben, steht auch irgendwo im Buch, wenn Mascha schon nach Israel gekommen ist, „um sich häppchenweise zu verlieren und nie wieder aufzusammeln.“
Sie ist aber mit ihren Eltern als kleines Mädchen nach Deutschland geflüchtet und hat dort sehr schnell sehr viele Sprachen gelernt, arabisch, französisch, hebräisch nicht, obwohl sie ja aus einer jüdischen Familie kommt, hat sich mit einem ostdeutschen Jungen namens Elias, von ihr und ihrer Familie Elischa genannt, befreundet und vorher den in Beirut geborenen Sami und den Türken Cem als Freunde gehabt.
Mascha ist Dolmetscherin und das Buch beginnt vergleichweise harmlos mit einem Frühstück in der Wohnung von Elias und Mascha, das in einem heruntergekommenen Stadtteil liegt, in dem es nur Billigkaufhäuser und riesige Pornokinos gibt.
Elias, der Fotograf ist, geht dann Fußballspielen und die Tragödie beginnt, denn im zweiten Kapitel ist Mascha schon im Krankenhaus. Elias hat sich das Bein gebrochen, muß operiert werden und stirbt schließlich daran.
In den ersten zwei Teilen des Romans in dem das passiert lernen wir Mascha, ihr Umfeld und das, was ihr passierte und noch passieren wird, kennen. Oder doch nicht ganz. Elias wollte immer von ihren Traumatisierungen wissen und warum sie erst nach der Wende nach Deutschland gekommen ist? Mascha erzählt nicht viel darüber. Ihre Mutter ist Klavierlehrerin, ihr Vater wurde als Kosmonaut ausgebildet und doch nicht in den Weltraum geschickt und in Baku war es sehr schwierig mit den Asaibaidschanern und den Armeinern zu leben, als sie sich um Bergkarabach stritten.
Elias hat vielleicht auch selbst Gewalt gelebt, sein Vater ist Alkoholiker und die Mutter kann die Wirtschaft nicht alleinlassen, um den Sohn im Krankenhaus zu besuchen, so daß Mascha damit überfordert ist, obwohl sie es sich nicht anmerken läßt und den Ärzten, die die Zigaretten ihrer verstorbenen Patienten rauchen, klar erklärt, daß sie sie nicht mit Vornamen anreden und auch nicht angreifen sollen. Als Mascha einen kleinen Hasen auf der Straße findet, geht sie einen Deal mit dem lieben Gott sein, sie wird ihn opfern und wirft einen Stein nach ihm, wenn Elias dadurch gerettet wird, der Hase stirbt. Elias auch, Gott ist nicht käuflich, könnte man vielleicht sagen und sich auch über Maschas Gewalttätigkeit wundern und sie unsympathisch finden. Mir hat diese Stelle auch nicht gefallen. Ich denke aber, daß ein Mensch, der im Herkunftsland viel Gewalt erlebt, dann in Asylwerberheimen und unter lauter Emigranten aufwächst, die alle ihre Gewaltschicksale haben und vielleicht untereinander verfeindet sind, gar nicht anders kann und daß Olga Grjasnowa, das auf eine sehr rotzfreche Art schildert. Allerdings habe ich im Writersstudio einmal gehört, daß ein Roman dann gut wird, wenn man das Schlimmste das man erlebt hat, nimmt und darüber schreibt und das hat mir schon damals nicht gefallen, weil die Literatur die dann herauskommt, zwar vielleicht Preise um Preise gewinnt, wir die Autoren vielleicht aber damit überfordern und uns, wenn wir dann diese übersteigerten Gewaltdarstellungen lesen, auch nichts Gutes, denn es ist ja schon das ganz normale Leben wahnsinnig genug und manchmal passieren auch gute Sache.
Aber weiter in der Geschichte. Die Freunde Cem und Sami werden eingeführt, Sami, in Beirut geboren, in Deutschland aufgewachsen, der ein Jahr lang auf sein Visum nach Amerika warten muß und Cem der Türke, den man in seiner Schule gesagt hat, daß Migrantenkinder nicht aufs Gymnasium sollen, weil ihre Eltern dadurch überfordert werden und der jetzt trotzdem promovieren wird. Sie bieten Mascha Hilfestellung, als sie ins Krankenhaus kommt und ihr die überforderten Ärzte sagen, daß Elias gestorben ist. Der Vater Horst will Elias Sachen haben und schreibt ihr Brief um Brief, daß sie sie ihm bringen soll. Mascha kann sie aber nicht hergeben, weil dann klar ist, daß Elias nicht mehr zurückkommen wird.
Trotzdem ist sie kaltblütig genug, mit ihrem Professor, den sie in der Krankenhausmensa trifft, ins Bett zu gehen und von ihm dafür eine Stelle in Tel Aviv zu verlangen, wo sie im dritten Teil dann ankommt. Ihre Eltern sind damit nicht zufrieden, ist Mascha als Diplomdolmetscherin damit doch unterfordert, sol sie doch bei der UN dometschen, aber Mascha, die nicht Hebräisch spricht will dorthin und wird von Elischa dabei begleitet und am Flughafen wird ihr von der Security gleich ihr Computer zerschossen, weil eine, die Bücher im Gepäck hat und Arabisch spricht, auffällig ist.
In Jerusalem wird sie von ihren Verwandten erwartet, die ihr von der Schoah erzählen und es ist schwierig in den Restaurants, wo man nicht arabisch sprechen darf. An ihrem Arbeitsplatz fühlt sie sich unterfordert, dafür lernt sie das Geschwisterpaar Tal und Ori kennen, die auch keine regimetreuen Israelis sind. Mit der Feministin Tal geht sie ein Liebesverhältnis ein, die will sie auf Demonstrationen mitnehmen und bringt sie nach Ramallah, während Cem aus Sorge, um sie nach Israel kommt und mit Sami ihre Unterschrift fälscht, damit sie in Wien das „United Nations Competative Examination for Russian Language Interpreters“ machen kann.
Mascha ist aber eine, die es sich nicht leicht macht, so steht sie schließlich in Ramallah blutend auf der Straße, erlebt vielleicht das, was damals in Baku passierte, noch einmal mit, bekommt Panikatacke um Pannikattacke, erlebt Elischa in seiner Leichenstarre, fühlt sich an seinem Tod schuldig und ruft schließlich Sami an, daß er sie holen soll.
„Höher!“ sagt Elischa. „Ja, genau so“
Ich hake mich bei ihm unter, und wir gehen eine Weile nebeneinander her. Die Sonne ist schon fast untergegangen, aber es ist noch hell!“, sind die letzten Worte des Romans.
Dann kommt eine Danksagung an Norbert Gstrein und andere ohne die das Buch nicht entstanden oder fertig geworden wäre, das von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert und von Literaturagentur Simon betreut wurde.
Mir ist Mascha nicht unsympathisch und ich glaube auch, daß all die Gewalt, die hier geschldert wurde, die auch die ist, die man in den Nachrichten täglich hören kann und die man zum Glück meist verdrängen kann, durchaus realistisch ist.
Wir leben damit und haben gelernt damit umzugehen. Es ist auch gut die Wirklichkeit zu kennen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Trotzdem denke ich, daß wir die jungen Autorinnen viellecht überfordern, wenn wir von ihnen immer mehr und immer Schrecklicheres verlangen. Das Buch hat seinen Platz auf der Longlist aber verdient und ist sicher als lesenswert.

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