Literaturgefluester

2016-05-13

Novellen der Leidenschaft

Nach den Spätwerken geht es wieder zurück in Stefan Zweigs Schaffen, mit der „Donauland-Ausgabe“ „Novellen der Leidenschaft“, die mit einem Nachwort von Richard Friedenthal, zehn seiner berühmten Novellen enthält.

In dem Nachwort wird die „Welt von Gestern“ beziehungsweise Zweig zitiert, wie er in Amerika, sich vorstellend er sei ein armer Einwanderer durch New York wandelte und so wahrscheinlich Stoff für seine  Erzählungen fand,  die er dann zu seinen meisterhaften Novellen verdichtete.

Der 1930 bei Insel erschienenen Band „Erstes Erlebnis“ wird erwähnt, der als Nächstes auf meiner Leseliste steht und dann geht es los mit der 1922 erstmals veröffentlichen Erzählung „Der Amokläufer“ mit der ich, ich muß es bekennen meine Schwierigkeiten hatte.

Die Klarheit würde ich es definieren, die mir sowohl in der „Ungeduld des Herzens“ als auch besonders in der „Welt von Gestern“ so gefallen hat, geht mir hier ab und ich weiß ich nicht, ob ich es damit begründen kann, daß es halt ein Frühwerk ist.

Die Novelle ist, habe ich, gelesen und in der „Arte-Dokumentation“ gehört, unter dem Einfluß Freuds entstanden, das kann ich nachvollziehen, logisch erscheint mir diese Geschichte einer „Besessenheit“, aber nicht und aus heutiger Sicht gesehen, wahrscheinlich auch ein bißchen rassistisch.

Es gibt einen Erzähler, der fährt 1912 mit einem Schiff von Kalkutta nach Europa zurück undhat da des Nachts auf dem Deck eine seltsame Begegnung mit einem seltsamen Mann, der ihn zuerst bittet, er soll nichts von seiner Anwesenheit erzählen, ihm in der nächsten Nacht dann seine Geschichte erzählt, dabei eigenartig wirkt.

Er ist Arzt und hatte in Leipzig, wo er in einem Spital arbeitete,  Schwierigkeiten mit den Frauen und dem Gesetz, so mußte er sich nach Indonesien in die Kolonien versetzen lassen, lebte da sieben Jahre in der Wildnis, ohne weiße Frauen, nur von “ gelben Weibern“  und Whisky umgeben.

Dann kommt eines Tages eine verschleierte Dame zu ihm und bittet ihn, um eine Abtreibung, beziehungsweise bietet sie ihm zwölftausend Gulden dafür, wenn er danach verschwindet.

Er will sie aber haben, sie verläßt beleidigt sein Haus, er fährt ihr nach in die Stadt, gebährdet sich wieder seltsam und begründet das seinem Zuhörer mit „Amok“, „einer Art Trunkenheit bei den Malaien“, die man eben  in den Tropen durch die Hitze oder die Abstinenz der weißen Frauen so bekommt.

Die Dame hat sich inzwischen zu einer chinesischen Kurpfuscherin begeben und liegt in ihrem Blut, der Arzt wird geholt, sie stirbt in seinen Händen, aber nun hat sie ihm das das Versprechen abgenommen, daß ihr Mann, der ein paar Tage später aus Holland zurückkommt, von ihrer Schande nichts wissen darf, so bedroht oder besticht er den Amtsarzt, der ihren Tod feststellen muß, um einen falschen Totenschein, läßt dann alles stehen und liegen und geht auf das Schiff, wo sich der Ehemann mit dem Sarg ebenfalls befindet, so versteckt er sich und hält sich nur in der Nacht auf dem Deck aus, erzählt  seine Geschichte und verschwindet dann wieder, beziehungsweise kommt es in Neapel, als alle an Land gehen, zu einem Vorfall, als der Sarg ausgeladen werden soll, stürzt sich „ein Irrsinniger“ auf ihn und reißt den Witwer ins Wasser, der wird gerettet, der Sarg  geht unter und eine männliche Leiche wird dann auch gefunden.

In den Rezensionen, die ich gelesen habe, wird die Meisterleistung des Erzählers gerühmt, logisch erscheint mir diese Besessenheit, die aus einem ziemlichen Zick-Zack besteht, aber nicht, sondern eher,  aus dem Kopf, in dem Bestreben eine psychologische Erzählung zu verfassen, nachempfunden.

In „Die Frau und die Landschaft“, die ich fast eine wenig, wenn es auch ganz anders ist,  mit der „Stunde zwischen Frau und Gitarre“ vergleichen möchte, kann ich die Psychologie der Leidenschaft, wenns auch für den heutigen Geschmack wahrscheinlich kitschig ist und vielleicht  deshalb zu dem Rauswurf aus dem Kanon führte, besser nachvollziehen. Hier steht der, es gibt wieder einen auktorialen, Erzähler in Tirol in einem heißen Sommer vor dem Hotel und wartet auf den Regen, hinter ihm steht ein junges Mädchen, die Tochter seiner  Tischnachbarn, eine bürgerliche Familie und wartet auch, der Regen kommt nicht gleich, beim Essen wundert sich der Erzähler über die Gleichgültigkeit der Hotelgesellschaft, dann geht er spazieren und, als er spät in sein Zimmer kommt, findet er die Schöne in einem somnabulen Zustand in seinem Zimmer, es kommt fast, aber doch nicht ganz zur Verführung, das einsetzende Gewitter hindert ihn daran, sie erwacht,erflieht in der Helle des Blitzes. Am nächsten Morgen sitzen sie sich im Speisesaal gegenüber und sie sieht ihn fragend an.

Ja, so warns, die Phantasien der bürgerlichen junge Männer zu Anfangs des vorigen Jahrhunderts, die noch dazu Freud gelesen haben, könnte ich jetzt vorlaut unken, gehe aber weiter zum „Brief einer Unbekannten“, ebenfalls 1922 erschienen, die auch verfilmt worden sein dürfte, jedenfalls gibts bei „Arte“ daraus einen Auszug und die psychologisierte Leidenschaft geht weiter. Da kommt diesmal der Schriftsteller R. aus dem Gebirge zurück, sein Diener gibt ihm einen Brief und die Unbekannte schreibt ihm, daß ihr (gemeinsames) Kind gestorben ist und gesteht ihm ihre Liebe. Als sie dreizehn war, ist er in das Haus gezogen, wo sie mit ihrer Mutter lebte und der Backfisch verliebte sich in ihm, als er zu ihr „Danke Fräulein!“, sagte, nachdem sie ihm eine Tür öffnete. Sie steht fortan am Spion um ihn, seine Bekannten und Besucherinnen zu beobachten, als sie sechzehn ist, heiratet die Mutter wieder und zieht mit ihr nach Tirol. Sie kommt als Angestellte eines Geschäftes wieder nach Wien zurück und geht täglich nach der Arbeit vor sein Haus, einmal spricht er sie an, nimmt sie mit in sein Zimmer und wundert sich, daß sie gleich arglos mitkommt ohne das sonst so übliche schamhafte Verhalte zu bemühen. Das wiederholt sich ein paarmal, dann geht er auf Reisen und meldet sich nie mehr. Sie bekommt das Kind, läßt sich, um ihm eine gute Ausbildung zu ermöglichen, von anderen Männern aushalten, schickt ihm aber jedes Jahr zum Geburtstag einen Strauß Rosen. Bei einer Gesellschaft sieht sie ihn dann nochmals wieder und geht nochmals mit ihm und jetzt liest er den Brief, den er nach ihrem Tod bekommen hat und wundert sich, daß diesmal keine Rosen kamen.

Mit der „Mondscheingasse“ geht es weiter und die ist nicht im siebenten Bezirk, sondern irgendwo an einer Küste, war ja Stefan Zweig ein weitgereister Mann und er ist wahrscheinlich wieder der Erzähler, kommt an Land, geht in die hintersten Gassen der Hafenstadt, wo es keine elektrische Beleuchtung mehr gibt spazieren und gerät in eine Art Bordell, von einer Frauenstimme angelockt, die den „schönen grünen Jungfernkranz“ aus dem „Freischütz“ auf Deutsch singt, obwohl man in dieser Stadt Französisch spricht. er folgt der Stimme nach, gerät zu dem Haus, das gerade ein verstörter Mann verläßt, er geht hinein, läßt sich von der Schönen ein Bier kredenzen, der Mann kommt wieder hinein und sieht sie flehentlich an, sie verhöhnt ihn, nennt ihn geizig, kuschelt sich an den vermeintlichen Freier. Aber der Erzähler veräßt auch das Lokal um sich von dem Mann, der ihm dann zu seinem Hotel begleitet seine Geschichte zu erzählen.

Dann folgen die Novellen „Geschichte der Dämmerung“ und „Die Gouvernante“, die auch mit dem „Brennenden Geheimnis“ in  den „Kinderland-Band“ enthalten sind, so daß ich sie, um diesen Blog nicht zu lang werden zu lassen, ausließ und gleich zu „Buchmendel“ übergegangen bin, wo es um eine andere Art von Leidenschaft geht, die Erotik scheint jetzt schon vorbei, denn „Buchmendel“ ist ein alter galizischer Jude, der für nichts anderes als für Bücher Gedanken hat, so daß er gar nicht mitbekommen hat, daß in Wien und in dem Cafe Gluck, wo er täglich sitzt, der erste Weltkrieg längst ausgebrochen ist, er schreibt weiter Briefe nach Frankreich und nach England, um Bücher zu bestellen oder sich zu beschweren, daß sein bezahlten Abonnent nicht eingetroffen ist, diese Briefe erwischt die Geheimpolizei und weil er auch noch russischer Staatsbürger ist, wird er als Feind verhaftet und kommt in ein KZ und als er zwei Jahre später zerstört wieder zurückkommt, hat das Cafe Gluck einen anderen Bezsitzer und er wird als Schnorrer hinausgeschmissen.

„In unvermutete Bekanntschaft mit einem Handwerk“ können wir vielleicht wieder erfahren, wie Zweig zu seinen Geschichten kam, er sitzt, im April 1931 in einem Pariser Straßencafe und beobachtet ein merkwürdiges Bürschlein mit einem gelben Anzug. Wer ist es? Zuerst denkt er an einen Detekiven, dann vermutet er einen Taschendieb und folgt seinen Spuren nach.

Weiter gehts mit der Leidenschaft der „Angst“ und den Methoden eines an der Psychologie interessierten Rechtsanwaltes, der seiner Frau eine diesbezügliche Lehre gehen will. So schickt er ihr, als sie verschleiert, die Wohnung ihres Liebhabers verlassen will, eine junge Schauspielerin, die sie erpresst, ihr Briefe schreibt, immer mehr und mehr von ihr verlangt, während er mit den Kindern, das Mädchen hat das Pferdchen des Bruders in den Ofen gesteckt, eine Gerichtsaufführung demonstriert, um ihr dann, als sie sich in der Apotheke schon das Gift besorgt, verstehend zu folgend und ihr alles erklärt.

Ein umgekehrter Leutnant Gustl, glaube ich und wahrscheinlich eine der ersten Erzählungen dieser Zeit, die Novelle wurde 1910 geschrieben, die sich mit den Gefühlen einer Frau beschäftigt, ich weiß, „Effi Briest“ und „Madame Bovar“y habe ich noch nicht gelesen. Der Ton der Geschichte erscheint mir wieder frisch und erstaunlich modern. Die Frau tut mir leid, denn was soll sie, aus bürgerlichen Haus,  vermögend, aber an ihr Geld kommt sie nach den damaligen Gesetzen ohne Einverständnis des Mannes nicht heran, tun, eine Ohrfeige geben und ihn verlassen, wird sie sich nicht trauen und nicht können, da der Liebhaber als sie ihn verzweifelt besucht, gerade bei einem Schäferstündchen ist und nur „Gnädige Frau“ zu ihr sagt, so wird sie wahrscheinlich mit Schuldgefühlen weiterleben und wir können uns nur freuen, daß unsere Gesellschaft hundert Jahre später diesbezüglich etwas offener geworden ist, so daß sich die Ehebrecherinnen nicht mehr verschleiert aus den Türen ihrer Liebhaber schleichen, müßen, wo dann die Erpresserinnen lauern.

Um die Psyche, in diesem Fall, um Krankheit, Schmerz und Älterwerden, geht es auch in „Untergang eines Herzens“, 1926 geschrieben und ist vielleicht wieder etwas schwer verständlich. So würde ich es jedenfalls anders deuten, als im „Wikipedia-Eintrag“ steht.

Da ist ein alter Mann, Jude, der, wie „In der Ungeduld des Herzens“ reich geworden ist, aber unter der Armut seiner Jugend, seiner Ungebildetheit, er spricht im Gegensatz zu seiner Frau und seiner Tochter, die das selbstverstränlich lernten, kein Französisch, leidet. Jetzt ist er alt, fünfundsechzig, heute müßte man das wohl zwanzig Jahre hinaufdrehen, leiet an Gallenkrämpfen, fährt aber nicht, wie vom Art geraten zur Kur nach Karlsbad, sondern mit der Famalie nach Italien, damit sich die amüsieren. Nachts sieht er die Tochter aus dem Zimmer eines vermeintlichen Liebhabers schleichen, ob das wirklich so ist, bin ich mir nicht sicher, das löst bei ihm aber einen Wirbel der Gefühle aus, er will abreisen, die Frau lacht ihm aus, die Tochter sagt einige Male, „Was hast du, Papa?“, zu ihm, die Frau schüttelt den Kopf und meint nur, daß er gratig ist und sich besser kleiden soll.

Er reist allein ab, die Familie kommt dann aber nach, denn irgenwer muß das Hotel ja zahlen, er zieht sich in seiner Wohnung immer mehr zurück, geht nicht mehr ins Geschäft, benützt die Dienertreppe, geht aber in den Tempel und, als der Arzt sagt, jetzt muß man doch operieren, geht er an das Grab der Eltern, verschenkt sein Geld an Bettlein und verstirbt danach im Spital. Zu einer Versöhnung mit seiner Familie ist es nicht mehr gekommen.

Eigentlich auch eine sehr starke Geschichte, die ich mir weniger mit der Erotik der Tochter, als mit dem Älter werden, vielleicht sogar mit einer möglichen Demenz, aber über die hat man damals wahrscheinlich noch nicht geschrieben, deuten würde. Die Schuldgefühle oder die Unzufriedenheit des alten Mannes wegen des nicht gelebten Lebens, immer nur Geld „ruacheln“ und es dann nicht für sich ausgeben, solche Motive gibt es ja auch bei der „Ungeduld“ und beim „Buchmendel“.

Starke Geschichte der inneren Gefühle, diese Novellensammlung, die alle wahrscheinlich früher in anderen Ausgaben erschienen sind, die gegen Ende immer dichter werden und sicher auch heute noch gelesen werden sollten und ich wiederhole es, Stefan Zweig doch als großen Autor ausweisen, der neben Michael Felder in den Kanon gehört.

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