Literaturgefluester

2014-09-21

Kastelau

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:44

Kann man aus Wikipediaeinträgen, Fußnoten, literarischen Texten, transkripierten Interviews, Tagebucheinträgen etc einen Roman schreiben?
Der 1946 in Zürich geborene Dramaturg, Regiseeur und Redakteur Charles Lewinsky, der beispielsweise an Filmen, wie dem „Traumschiff“ arbeitete, hat es getan und ist mit seinem Roman „Kastelau“ auf die Longlist des dBps gekommen.
Ein Buch, das sehr gelobt wurde und wie ich in den Rezensionen und Besprechungen lesen konnte, uns den Unterschied zwischen Lug und Trug, Wahrheit und Fälschung, manchmal bis an den Rand des Klamauks erklärt.
Der Filmprofi Charles Lewinsky tut das mit der an sich sehr banalen Geschichte von dem Filmteam, das sich Ende 1944, als in Berlin die Bomben fielen, in den fiktiven Ort Kastelau, in der Nähe von Berchtesgaden absetzt, und um nicht zerbombt zu werden oder an die Front zu müssen, -einen angeblich kriegswichtigen Film zu drehen, aber leider reichen die Requistiten und die Darsteller nicht, so daß dabei getäuscht und geschummelt werden muß und dann tut das der Autor auch noch selbst auf Seite elf und in den Fußnoten, als er erklärt, seinen Roman aus den von „Samuel Anthony Saunders hinterlassenen Unterlagen“ zusammengestellt zu haben und „Innerhalb der Texte habe ich – abgesehen von der Übersetzung ins Deutsche – keine Änderungen vorgenommen. Wo es mir angebracht schien, habe ich in Fußnoten erkärende Anmerkungen hinzugefügt. C.L“
Dann gibt es noch eine Adresse „302 East Melnitz“
„Erwischt!“, schreien die Literaturwissenschaftler, denn „Melnitz“ ist der Titel von Lewinskys vorangegangenen Roman, aber diesen Ort scheint es wirklich zu geben, „http//www. cinema.ucla.edu“ wahrscheinlich nicht, die liebe Eva hat an dieser Stelle aber nachgegooglet, ob es einen Samuel Anthony Saunders gibt, denn manchmal scheinen in den Fußnoten auch sehr bekannte Schauspier- und andere Namen, wie beispielsweise Luis Trenker, sowie Filmtitel, auf, die es gegeben zu haben scheint.
Wirklichkeit und Fälschung liegen eben nah beinander und dem Profi scheint es Spaß gemacht zu haben zu täuschen, obwohl was weiß man schon so genau, 1944 war man wahrscheinlich froh zu überleben, hat das geprobt, ohne groß an das Wort Täuschung gedacht zu haben und im Nachhinein sieht vieles anders aus…
So beginnt der Roman auch 2011 und nicht, wie im Klappentext beschrieben, 1944, denn da läuft ein verkrachter Filmwissenschaftler und Besitzer einer heruntergekommenen Videothek mit einer Spitzhacke in Los Angeles auf den „Walk of Fame“ und schlägt damit auf den Stern des Schauspielers Arnie Waltons ein, die Polizei kommt dazu, schießt ein bißchen und Samuel Anthony Saunders erliegt dann politisch korrekt einem Schlaganfall, den er daraufhin bekam und der Roman, beziehungsweise die Materialsammlung beginnt.
Kann man aus Recherchestücken einen spannenden Roman schreiben, wiederhole ich und füge hinzu, was ich schon in den Rezensionen gelesen habe, Charles Lewinsky ist es sehr routiniert gelungen, Spannung aufzubauen, obwohl er die Karten auf den Tisch legt und man gleich am Anfang das Ende weiß.
Trotzdem kommt man in die Geschichte und sieht das Kriegsende ganz plastisch vor sich, obwohl es sich in dem ganzen Buch um Nebenschauplätze handelt. Die Juden sind schon alle fort, der Krieg fast verloren, nur ein Filmteam setzt sich ab.
Was dabei passiert, wurde von manchen als Klamauk empfunden, mir fällt das Lachen über Dinge, die gar nicht lustig sind, bekanntlich schwer, so habe ich das Buch auch nicht lustig empfunden und mir im dritten Drittel des Buches, die 2010 entstandene Verfimung des „Jud Süß“ mit Tobias Moretti in der Rolle des Ferdinand Marian angesehen, da der Originalfilm ja verboten ist.
Samuel Anthony Sauners schreibt jedenfalls seine Dissertation über den berühmten Schauspieler mit deutschen Wurzeln, einem Widerstandskämpfer, wie seiner Biografie zu entnehmen ist, reist dazu nach Deutschland und kommt in die Kneipe einer alten Frau mit Narbe, die ihr Lokal mit alten Filmauschniten dekoriert hat und die erzählt ihm die Geschichte, wie sie als junges Mädchen bei der UFA war, in den Filmen gerade mal „Ja, Gnädige Frau, nein, gnädige Frau!“, sagen durfte, aber einmal mit dem Star Walter Arnold, wohl zu verhüllen, daß der eigentlich ein Homo war, gemeinsam auf einem Titelblatt zu sehen war.
Es gab einen Drehbuchschreiber namens Werner Wagenknecht, mit einem Wikipediaeintrag, dem man entnehmen kann, daß sein Roman „Stahlseide“ 1933 auf dem Scheiterhaufen brannte. 1944 hat er Berufsverbot, bzw. schreibt er unter falschen Namen Drehbücher für die UFA, eines heißt „Lied der Freiheit“ und soll ein Napoleonschinken werden, aber da fallen schon die Bombe über Berlinn und man setzt sich, wenn es geht, ab.
Einer von Wagenknechts Texten, der zuerst zu Saunder und dann zu Lewinsky bekommen ist, heißt auch „Servatius beim Onkel Doktor“ das ist der Regisseur der Truppe und erzählt, daß er von einem Arzt, ein falsches Attest haben will, was der ihm aber verweigert.
So entsteht der Plan mit zwei Filmautos, die anderen galten ja als kriegswichtig, nach Kastelau zu fahren und am dortigen Schloß den Film zu drehen. Nur leider wird der größere Bus auf der Autobahn von Bomben getroffen und es kommt nur ein kleines Filmteam mit einem tauben Tonmeister, dem Schauspieler Walter Arnold, der jungen Tiziana Adam, die Saunders das alles erzählt, dem UFA Star Maria Maar, die mit der zweiten Frau von Hermann Göring befreundet ist, Werner Wagenbach, dem man für das Umschreiben des Drehbuchs braucht und einigen anderen in dem verschlafenen Bergdörfchen an, quartiert sich im „Watzmann“ ein und muß vor dem Ortsgruppenleiter Heckenbichler so tun, als drehe man einen Film, obwohl man gar kein Material mehr dazu hat und der Ort auch kein Schloß, wo man die Napoleonischen Truppen aufmarschienen lassen könnte.
So muß Werner Wagenknecht umschreiben und Titi bekommt so gar eine große Rolle und es passiert auch noch einiges andere in dem kleinen Dörchen, bevor im Mai die Amerikaner kommen.
Zuerst wird zu Weihnachten ein Weihefestspiel in der Kirche aufgeführt, denn wird im Keller des Gasthauses ein Deserteur entdeckt und der Schauspieler Walter Arnold der, der als Arnie Walton im „Walk of Fame“ eingraviert ist, wird verhaftet, weil er mit dem Sohn des Bäckers eine homosexuelle Beziehung hatte.
Das alles steht aber nicht in seiner Biografie und so bekommt Saunders, als er von Deutschland zurück ist und aus Wagenknechts Material und den Interviews mit Titi eine wunderabare Dissertation geschrieben hat und schon von seiner Uni Karriere träumt, Schwierigkeiten.
Der Professor lehnt die Dissertation ab und als er sie in Buchform veröffentlichen will, kommen die Rechtsanwälte mit Drohbriefen und beweisen, kann er seine Entdeckung auch nicht wirklich, denn es gab ja zu wenig Filmmateria, und die zusammengeschnittene Fassung, in letzter Minuten, als schon die weißen Tüücher über die Hakenkreuzfahnen gestülpt wurden, hat Walter Arnold noch das Drehbuch umgeschrieben und einen Widerstandsfilm daraus gemacht, -taucht erst sehr viel später auf, als Arnie Walton schon gestorben ist und Saunders das Buch jetzt schreiben könnte, aber jetzt will es keiner mehr haben und in eine Videothek geht auch keiner mehr, da man sich ja alles viel einfacher im Internet hochladen kann.
So deponiert der Enttäuschte die Kopie in einem Schließfach nimmt die Hacke, marschiert los und Charles Lewinsky hat einen sehr spannenden Roman geschrieben, der es zwar nicht auf Shortliste schaffte, aber durch Claudia vom grauen Sofa und das Longlistlesen zu mir gekommen ist, wofür ich der Losfee sehr danke, weil sonst Buch und Autor an mir vorbeigegangen wären und jetzt kann ich es mir noch ein bißchen besser vorstellen, wie es 1944 und 45 vielleicht gewesen ist.

3 Kommentare »

  1. mir hat er auch gefallen, der roman. und wenn du das mit krieg und ende und flucht noch mehr vertiefen willst, dann lies die draesner und ihre sprünge vom rande der welt, die an sich meine favoritin wäre, aber es auch nicht auf die shortlist geschafft hat. lustig fand ich kastelau übrigens auch nicht.

    Kommentar von ofips — 2014-09-21 @ 01:05 | Antworten

  2. Guten Morgen, lieber Otto und vielen Dank für das späte oder frühe Lesen, ja die Draesner müßte ich noch bekommen, ich habe allerdings in Leipzig bei der Messe schon ein bißchen hineingehört und von der LL sind ja die Streeruwitz und vielleicht der Köhlmeier meine Favoriten bzw. das, was ich mir zu Weihnachten oder zum Geburtstag wünsche und da mich die Ex-DDR vielleicht noch ein bißchen mehr als der World War II interessiert, müßte ich noch „Kruso“ auf meine Liste nehmen, aber es gibt ja noch so viele andere literarische Herbstneuerscheinungen und da habe ich, abgesehen von einem Krimi und einem ChickLit Elisabeth Klar und Karin Peschka, die übrigens kommende Woche in der „Alten Schmiede“ liest, da könnten wir uns vielleicht treffen, noch den Max Blaeulich, den ich dir empfehlen würde, den Peter Rosei und den neue Mike Makart aus deim „Keiper-Verlag“ gelesen, ich bin also nicht ganz so gut im Neuerscheinungslesen wie du, lese dank der Bücherschränke aber auch einiges Alte und da bin ich gerade beim Perutz-Preis von 2011 und den empfehle ich dir auch!

    Kommentar von jancak — 2014-09-21 @ 06:01 | Antworten


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