Literaturgefluester

2016-07-26

Zu Lasten der Briefträger

Jetzt kommt ein wahrer österreichischer Klassiker aus einem inzwischen klassischen und in dieser Form ebenfalls nicht mehr bestehenden „Residenz-Verlag“, nämlich das1974 erschienene „Zu Lasten der Briefträger“, die Litanei in bester „Bernhardscher“ oder vielleicht auch anderer Manier auf die Untugenden des sozialistischen bayrischen Nachkriegsstaates, geschrieben von dem sprachsinnigen, 1938 in Oberösterreich geborenen Philologen und Universitätsprofessor Alois Brandtstetter, der sein Deutsch aus dem FF versteht.

Ein wahrer Klassiker und schon der Titel und wahrscheinlich nur der, ist inzwischen in aller Munde und weil Alfreds Vater ja Briefträger war, hat er ihm, so geht die Mär, dieses Buch einmal zu Weihnachten geschenkt. Das, was ich jetzt gelesen habe, stammt allerdings aus Alfreds Bibliothek und ich kann das Buch 2016 wirklich allen nur empfehlen, die wissen wollen, was sich in den letzten vierzig Jahren bei uns und anderswo so alles verändert hat.

Es ist kein Roman, wie auch „Jung und Jung“ 1974 auf die Litanei hinaufdruckte, sondern ein Monolog, denn da erzählt einer, ein namenloser Ich-Erzähler, seinem Postmeister von den Zuständen in einem niederbayrischen Dorf.

Er erzählt ihm von den Taten, beziehungsweisen Untaten seiner drei Briefträger, dem Ferdinand Ürdinger, dem Karl Deuth und dem Franz Blumauer und da wird, ist Brandstetter ja ein wahrer Sprachvirtuose, alles durcheinandergewürfelt und kein Stein, beziehungsweise Brief auf dem anderen gelassen.

Denn die Postboten hatten schon in dem sozialistischen Wiederaufbauzeiten Rationalisierungsprobleme und eigentlich keine Zeit zum Zustellen, mußten sie die Post, die Karten und die Briefe zur Wahrung des Briefgeheimnisses doch vorher lesen und weil sich inzwischen ebenfalls die Zeiten geändert hatten, hatten sie dem Entziffern der Kurrenth- oder Süterlinschriften ihre Probleme oder würden sie bekommen, wenn keine der Briefträger diese Schriften mehr lesen würde können.

So mußten sie sich das Austragen einteilen und konnten nicht wegen jeder Drucksache gleich aufs Land hinauslaufen, sondern gewöhnten es sich an, die Post gleich gesammelt zu überbringen oder die Drucksorten, was Sache war und wie Brandtstetter listig nachweist, viel besser funktionierte und die Postboten so gleich zu Kanditaten eines Friedensnobelpreises machte, in den Flüßen vorher zu entsorgen.

Oder halt, das traf besonders für die Wahlwerbung zu, denn wozu böses Blut in die Dörfer bringen? Die Wahlwerbung wurden gar nicht erst zugestellt und so ein Volk, was wir uns in Österreich derzeit ja besonders zu Herzen nehmen können, gar nicht erst gegeneinander aufgehetzt.

Aber auch sonst war das Austragen der Briefe sehr beschwerlich, lagen ja mindestens sieben Wirtshäuser im Revier des Ferdinand Ürdinger, des heiligen Trinkers oder gleich vierzehn, wenn man den Rückweg einrechnet.

Und so saß er dann dort und traf sich mit seinem Kameraden, zu denen auch der Ortsgendarm Valentin Naderhirn  gehörte, zum Kartenspielen, aber vorhin las er ihnen die besten Stücke aus deiner Post vor, die Liebes- oder die Amtsbriefe und wenn sich dann ein Ortsunkundiger über die Verletzung des Amtsgeheimnis beschwerte und nach dem Gendarmen rief, war dieser gleich zu Amtshandeln an der Stelle, wobei er manchmal die Uniform verwechselte und den Querulanten aus dem Lokal verwies.

Mit den Paketen, die zu Weihnachten zugestellt werden sollten, wurdeähnlich verfahren, denn „Mit Packeln darst nicht fackeln!“, sagt Karl Deuth, der Philosoph und Senisible unter den Drein.

So wurden die, wo „Vorsicht Glas!“ draufstand, gleich probehalber und, um das zu überprüfen, denn es wird ja soviel geschummelt und übertrieben, vom Tisch geworfen und der Hausfrau konnte es dann leicht passieren, daß sie statt eines Porzellangeschirr von der Schwiegermutter, ein „Glockenspiel“, das heißt einen Scherbenhaufen zugestellt bekam, wobei Karl Deuth, der Feinsinnige, dann die schuld auf die Bahn und die besoffenen Bahnbeamten, die dort hantieren, zu schieben wußte.

Und so weiter und so fort, über zweihundert Seiten, wird geschimpft oder eigentlich nur erzählt, in feinster, schöner Sprachen mit vielen lateinischen Brocken, die Mißstände aufgezählt, die damals, 1974, sicher eine Farce und eine Übertreibung waren, aber in Zeiten, wie diesen, wo wir vor einer Wahlwiederholung stehen, weil da zu früh, zu spät oder mit nicht ordentlicher Besetzung höchstwahrscheinlich ohnehin richtig ausgezählt wurde oder man sich seine Pakete inzwischen nicht mehr von der Post, sondern vom nächsten Schneider oder „Kleintierprofi“ abholen kann, weil die Post inzwischen längst privatisiert wurde und ihre einstmals unkündbaren Beamten zu Hort- oder Heimerzieher umgeschult, beziehungsweise gleich in Frühpension geschickt hat, kann man sich darüber wundern, lachen, schmunzeln, ärgern, staunen, etcetera.

Aber auch über anderer wird hergezogen, über die Tierbeschau zum Beispiel. Da geht der Tierarzt mit dem Fleischhauer durch die Reihen der geschlachteten Rinder- und Schweinehälten, macht seine Nase zu und drückt seinen Unbedenklichkeitsstempel darauf und nachher bekommt er zum Lohn und zum Dank für seine Gefälligkeit ein schönes Fleischpaket.

Der Gemischtwarenhändler muß herhalten und die Bauverordnung und besonders wird über die Lehrer und das Schulwesen hergezogen.

Köstlich, das Kapitel über die Mengenlehre, wo er Erzähler dem Postmeister diese erklärt. Der Direktor, der früher Oberlehrer hieß und heute kein Instrumente mehr spielen kann, hat eine Menge von fünfzehn Lehrern mit einer Teilmenge von zehn weiblichen und fünf männlichen, wobei sich die weibliche Teilmenge, wieder in eine von schwangeren und karenzirten unterteilt und bei dieser oder der Hauptmenge gibt es nur mehr eine sehr kleine Menge, die was von Literatur, Musik, oder bildender Kunst versteht, so daß es zu einem wahren Lottogewinn wird, welche Schüber mit welchen Bildungsgrad, nachher die Schule verlassen und auf eine Lehrstelle warten.

Auch da kann man inzwischen, die wunderschönsten Vergleiche ziehen und in Seufzer oder auch Heulen ausbrechen, aber es geht noch weiter.

Über die Jagd wird hergezogen über die Krankenstandkontrolleure und den Baron, dem alles im Dorf  gehört, der eine Hühnerfarm und eine Bierfabrik hat, deshalb der Blasmusik gerne mal ein Krügerl spenden kann und den Sozialisten Deuth, der auch die Dorfchronik schreib, gleich einmal zum heimlichen oder wiederbelebten Monarchisten macht.

Und beben dem Alkoholiker Ürdinger, dem Philosophen Deuth, haben wir  noch den Frauenhelden Blüminger, der seinen Dienst mit der Posttasche und der schönen Uniform so versteht, daß er allen einsamen Witwen und  Hausfrauen, die schönsten Komplimente macht und er deshalb seinen Dienst am liebsten auch am Sonntag ausführen würde, aber da sind ja die Handelsvertreter und Fabriksarbeiter, also die Gatten der einsamen Damen, zu Haus.

Und so weiter und so fort und köstlich grausig übertrieben. Spitzbübisch von dem Philologen, der auf dem Bild am Klappentext gar nicht mehr zu erkennen ist, erzählt.

Inzwischen sieht, der emeritierte Universitätsprofessor ganz anders aus und hat auch schon eine Fortsetzung seiner Briefträger geschrieben.

Inzwischen sind die Herren Ürdinger, Blumauer und Deuth, in dem 2011, beim neuen „Residenz-Verlag“ erschienenen „Zur Entlastung der Briefträger“ längst in Pension und sitzen im Gasthaus, um über die vergangenen  und vielleicht auch neuen Seiten zu räsonieren.

Da war ich zu Zeiten der „Leipziger Buchmesse“ bei einer Lesung in der „Gesellschaft der Literatur“ und das 2013 erschienene „Kummer ade“ habe ich auch gelesen.

Im Vorjahr erschien dann „Aluigis Abbild“, das habe ich leider nicht mehr bekommen, aber im Sinne meines Buchpreislesens höchstwahrscheinlich keine Zeit dazu gehabt oder doch vielleicht, denn Brandtstetter zu lesen, lohnt sich, wie dieser „Oldie“ zeigt besonders, weil man in dem feinsinnigen Sprachgeschimpfe gut erkennt, wie sich die Zeiten geändert haben und besser sind sie, wie ich fürchte, auf keinen Fall geworden, obwohl ich mir eigentlich nicht vorstellen kann, daß Alfreds Vater dieses Buch gefallen hat.

Wahrscheinlich hat er es aber, der, wenn er mit seinem Moped und seiner Uniform zu seiner Arbeit fuhr, auch schon mal einen toten Hasen auf der Straße fand, gar nicht gelesen, würde ich vermuten und bedaure sehr, daß ich mir solange Zeit dazugelassen habe.

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