Literaturgefluester

2018-10-05

Das Jahr in dem Dad ein Steak bügelte

Filed under: Bücher — jancak @ 00:49
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Nun kommt die vierte Variante des heurigen Herbstlesen, nämlich das Debut einer asiatisch-amerikanischen Autorin, nämlich Rachel Khong, die mit ihrem Roman, Memoir oder Personal Essay über ein sehr wichtiges Thema, das gerne verdrängt wird, geschrieben hat.

Wenn man ein Buch über Alzheimer schreibt, muß es wohl „unheimlich komisch und witzig“ sein, damit man es aushält und ertragen kann und daran kranken die tagebuchartigen Episoden über eine junge Frau. Die dreißigjährige Ruth, die Mutter ist Chinesin, wurde aber als Baby von Amerikanern adoptiert, der Vater ist Geschichtsprofessor, sie selbst hat ihr Studium ihres Freundes Joels wegen abgebrochen und ist nun so etwas, wie medizinische Assistentin, die in San Francisco Ultraschalluntersuchungen machen.

Das kann man bei „Amazon“ schön nachlesen, daß da die Rezensionen zwischen ein und fünf Sterne schwanken, aber es wohl auch ein Thema, das viel Abwehr und Angst erzeugt, aber eines von dem es sehr wichtig ist, sich damit zu beschäftigen.

Die junge Ruth, die gerade Liebeskommer mit ihrem Freunmd Joel hat, wird also zu Weihnachten von ihrer Mum nach Hause, also nach LA geholt, um ihr bei der Betreuung ihres Vaters, der eine Alzheimer-Diagnose ha,t zu helfen und das wird nun, wie schon beschrieben, skurril komisch geschildert.

Immer wieder werden Episoden über Alois Alzheimer oder Informationen über die Krankheit  personal- essaymäßig eingeschleust und es gibt in den tagebuchartigen Notizen eine Grundidee, die ich sehr schön fände, wenn sie nur etwas strukturierter ausgearbeitet wäre.

Der Vater ist Geschichtsprofessor, wird aber vom Dekan entlassen oder beurlaubt, weil er unangenehm aufgefallen ist. Er ist zu spät gekommen, hat Dinge verwechselt, vergessen, etcetera und Ruth fragt nun an, ob er wieder ein Seminar halten kann?

„Nein!“, druckst der Dekan herum. Aus Gründen der Sicherheit erst wieder wenn es ihm besser geht und wenn er sich auf dem Universitätsareal sehen läßt, würde er die Polizei rufen.

Das muß wohl nicht sein und so kommt auch Theo, einer von den Studenten auf die Idee, dem Vater heile Welt vorzuspielen und ihm einfach das Seminar abhalten zu lassen. Aber der Dekan darf nichts davon merken. So findet der Unterricht in verschiedenen Räumen statt, schließlich in Restaurants, im Disneyland und in einem Freizeipark, wo sie den Dekan treffen und der Vater erkennt, daß er von Ruth und den Studenten an der Nase herumgeführt wurde, was ihm sehr wütend und betroffen macht.

Es wird auch herumgerätselt, wie es zu der Krankheit kommen kann? Das Aluminium ist schuld, da es die Plaques im Gehirn erzeugt. Also verbannt die Mutter allle Aluminiumpfannen und Töpfe aus der Wohnung und Ruth hat gelesen, Gemüse ist ein Gegenmittel. So muß der arme Vater Brokkolie essen oder Quallen. Die Tochter schafft ihm auch Fische an, macht mit ihm Ausflüge und immer wieder kommen Sequenzen in dem Buch vor, die unlogisch klingen und eigentlich nichts mit der Geschichte zu tun haben, was auch mein Kritikpunkt wäre.

Es sind oft banale skurille Sequenzen, die da beschrieben werden, Ruth sinniert über ihre Vergangeheit, trifft Schulfreundinnen, freundet sich auch mit Theo an und der Vater gibt die bewußten erstaunlichen Antworten, die ich auch bei meinem Vater erlebt habe.

„Was mein Vater alles nicht hat: Schilddrüsenüberfunktion,, eine Nieren und Leberinsufflienz, eine Infektion, irgendeine Form von Mangelernährung. Ein Mangel an B 12 und Folsäure kann zu Erinnerungsverlust führen, ist aber behandelbar.

Ich bin einfach nur dement“, sagt Dad“ oder „Als Theo gegangen war, sagtest du: Ich bin senil, aber nicht blind!“

Der Vater bügelt dann auch das schon erwähnte Steak, läßt seine Sandwiches in seinem Büro vergammeln oder weigert sich zu essen und Ruth findet auch Differenzen zwischen ihm und der Mutter heraus. So hat der Vater früher Alkohol getrunken, hat die Mutter öfter betrogen. Sie findet auch Scheidungspapiere und weiß nicht so recht, sind die Eltern jetzt geschieden oder nicht?

Das sind auch die Szenen, die ich für überfrachtet halte. Aber wahrcheinlich ist es sehr schwer ein Buch, das ja wahrscheinlich autobiographische Wurzeln hat, mit einem solchen Thema so einfach hinunterzuschreiben und ich glaube, es ist auch sehr schwer, ein solches Buch zu lesen. Deshalb flüchten die Autoren dann halt gern in die sogenannte Komik, wenn sie nicht überhaupt, was ich für noch furchtbarer halte, zu dem Schluß kommen, den Patienten am Ende umzugbringen, was einmal sowohl beim Bachmannpreis thematisiert wurde, als auch John Katzenbach so beschrieben hat.

Ein wichtiges Buch mit einem wichtigen Thema also, das man sicher besser schreiben könnte, aber das ist, füge ich gleich hinzu, höchstwahrscheinlich nicht so leicht, habe ich mich ja selber einmal mit diesem Thema versucht und, ich glaube, es ist auch sehr wichtig, solche Bücher zu lesen und sich mit diesen Thema auseinanderzusetzen.

Noch ein Detail am Rande. Am Cover der englischen, als auch der deutschen Ausgabe, gibt es viele rosa und auch gelbe Zitronen. Keine Ahnung wehalb? Interessant ist aber, daß die Englische Ausgabe den Titel „Goodbye Vitamin“ trägt, was ja nicht die Übersetzung der deutschen Ausgabe ist.

2017-05-23

Ostende

Filed under: Bücher — jancak @ 00:26
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Vom Bodensee geht es jetzt nach Ostende und von der Zerstörung der Arbeiterkultur in den Sommer 1936, wo sich Stefan Zweig, Joseph Roth und noch einige andere aus Deutschland Vertriebene trafen.

Ich habe mich ja im vorigen Jahre für meine „Berührungen“ intensiv mit Stefan Zweig beschäftigt, da fast alles, was ich im Hause hatte von ihm gelesen, die Ausnahme war die Biografie von Marie Antoinette aus der Arbeiterbibliothek meiner Eltern, denn die hatte ich noch in meiner Hauptschulzeit gelesen und wollte es nicht nochmals  tun.

Da bin ich auch auf zwei Bücher über Stefan Zweig gestoßen, nämlich auf Volker Weidermanns, dem 1969 in Darmstadt geborenen, der jetzt das literarische Quartett moderiert, „Ostende“ gestoßen, sowie auf Ulrich Weinzierls „Stefan Zweigs brennendes Geheimnis“, wo dieser nachweisen will, daß Zweig ein Exhibionist und Homosexuell gewesen ist.

Etwas, was ich mit Skepsis  betrachtet, es geht mich auch nichts an, auf das Weidermann-Buch war ich aber sehr neugierig und hoffte es irgendwann in einem der Bücherschränke zu finden. Dann bin ich im März nach Leipzig gefahren, habe mich dort mit Ulrike Meier von „Kiepenheuer & Witsch“ getroffen, die mit mir die Herbstvorschau ihres Verlags durchgegangen ist und mich darauf hinwies, von VolkerWeidermann wird ein neues Buch erscheinen.

Da habe ich sie gefragt, ob sie mir vielleicht „Ostende“ schicken könne?

Sie tat es und jetzt habe ich das knapp über hundertfünzig Seiten dünne Büchlein gelesen, das, wie man vielleicht sagen könnte, ein Zeitbild von 1936 gibt, wo sich Stefan Zweig mit seiner damaligen Sekretärin, die auch schon seine Geliebte war, Lotte Altmann nach Ostende begab, um eifrig seine Bücher zu schreiben. Deshalb sollte das Fräulein Lotte auch die Schreibmaschine mitbringen und, wie Volker Weidermann meint, noch einen schönen Sommer zu verleben, bevor der Krieg ausbrach und das Anfang vom Ende begann.

Zweig ist schon einmal, nämlich 1914 in Ostende, wo ja auch ein Krieg begonne hat, gewesen und er war mit Joseph Roth befreundet, dem Monarchisten und Trinker, der damals schon so versoffen war, daß Stefan Zweig dem amerikanischen Verleger vor dem Abfall der Qualität warnte, worauf sich der weigerte, die weiteren Bücher zu verlegen. Sonst hat Zweig, der Millionär, wie er im Buch genannt wird, Roth aber finanziell untersützt. Hat ihm zuerst eine Hose und dann noch eine Anzugjacke nähen lassen und sich mit ihm auch regelmäßgi im Cafe Flore getroffen. Er hat auch geschaut, daß der Trinker regelmäßig eine warme Mahlzeit zu sich nahm und an die frische Luft kam, was Roth nicht so wollte, weil, wie er laut Volker Weidermann sagte, „Die Fische ja auch nicht in Kaffeehaus gingen.“

Es gab aber noch andere Künstler, die im Sommer 1936 Ostende besuchten. Eine davon war die einzige Nichtjüdin in der Runde, nämlich Irmgard Keun, deren Bücher aber von den Nazis verboten wurden. Sie klagte zwar dagegen, hatte aber keine Chance. So kam sie nach Ostende, verliebte sich in Roth, der wie Volker Weidermann erkärt, schon dünn wie ein Gespenst war und kaum Zähne mehr hatte und begann mit ihm eine Beziehung, wo er sie, wie Weidermann schreibt zum Trinken, sie, ihn davon wegbringen wollte, aber Roth hat gesiegt.

Außerdem war noch der rasende Reporter Egon Erwin Kisch mit seiner Frau Gisela da, das Ehepaar Troller, Hermann Kesten und Arthur Koestler und Volker Weidermann erzählt ein bißchen die Bigorafien der Freunde „Sommer der Freundschaft“, ist ja der Untertitel, aber auch was sonst noch in diesem Jahr passierte.

Schuschnigg ließ sich auf einen Pakt mit Hitler ein, in Deutschland gab es die olympischen Spiele, Klaus Mann hat seinen „Mephisto“ herausgebracht und als der Sommer zu Ende war, zerstoben die Freunde in alle Richtungen.

Zweig fuhr zuerst zum Pen-Kongreß nach Argentinien und dann zum ersten Mal nach Brasilien um zu erkunden, ob das Land eine Lebensform für ihm wäre, wo er sich ja 1942 umbrachte.

Der Film „Vor der Morgenröte“– „Ich grüße alle meine Freunde, mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger gehe ihnen voraus!“, zeigt davon.

Joseph Roth befand sich in finaziellen Nöten, ging mit Irmgard Keun nach Paris, wo sie sich bald von ihm trennte und starb  im Mai 1939.

Irmagard Keun wurde  in den Siebzigerjahren durch die Zeitschrift „Emma“ wiederentdeckt. Da habe ich jedenfalls von ihr gehört, mir ihre Bücher gekauft und gelesen und Volker Weidermanns Zeitbild über den Sommer 1936 kann ich allen an der Geschichte und der Literatur interessierten sehr emfpehlen und mein Buch über die Schreibkrisen und das Theaterstück einer jungen Exil-Iranerin, wo sie Stefan Zweig und Heimito von Doderer am 12. 2. 1934 im Cafe Central treffen, natürlich auch.

2017-04-18

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster

Jetzt kommt Susann Pasztors Buch, das in Leipzig bei dem „Kiwi-Bloggertreffen“ vorgestellt wurde. Eine Mischung zwischen einem Jugend- und einem All-Age Buch würde ich mal schätzen oder nein, ein reines Jugendbuch ist es wohl nicht, dazu ist das Thema zu schwierg, geht es dabei doch um das Sterben.

Ein Thema für mich könnte man so schätzen, denn ich habe ja meinen Vater betreut, dazwischen Sterbeseminare im damaligen Geiatrie-Zentrum Wiederwald gemacht, dort dort die Pflegehelferinnen in Kommunikation ausgebildet und habe auch manchmal Klienten, die ihre Angehörigen verloren haben oder verlieren werden und mich in meinen Büchern auch schon mehrmals mit diesem Thema auseinandergesetzt.

Zum „Kiwi-Blogger-Treffen“ bin ich etwas zu spät gekommen, weil ich ja vorher mit dem Alfred in diesem Messerestaurant essen war und habe, als ich das Zimmer im dem Congreßzentrum endlich gefunden habe, Susann Pasztor, die 1957 in Solenau geboren wurde, jetzt ihr drittes Buch bei „Kiwi“ herausbrachte und auch eine Ausbildung zur Sterbebegleiterin machte, daraus schon lesen gehört und zwar ziemlich bald die Stelle, wo Max der Schulfreund von Phil, dem dreizehnjährigen Jungen, der eine wichtige Rolle in dem Buch spielt, großschneuzig davon spricht, daß Sterbebegleiter, die sind, die den Menschen streng geheim, die Giftcocktails überreichen, als der ihm von der Ausbildung seines Vaters erzählt und habe schon befürchtet, daß da vielleicht etwas vermischt wird, denn ein Sterbegleiter gibt ja keine Sterbehilfe, zumindest keine mit dem Cocktail.

Aber natürlich wird in der Öffentlichkeit bei diesem Tabuthema viel gewitzelt, verdrängt,  gelästert und die Literatur ist ja dazu da zu übertreiben und zu erhöhen.

Aber Susann Pasztor umschlifft diese Kurve und das ist auch die einzige Stelle, wo es darum geht, sonst geht es um etwas ganz anderes, nämlich, um Fred, den vierzigjährigen übergewichtigen alleinerziehenden Vater, der in irgendeinem Amt sitzt und Pensionsanträge bearbeitet und endlich was Sinnvolles machen will.

So wird er ehrenamtlicher Hospitzmitarbeiter und soll nun seinen ersten Fall übernehmen, nämlich die sechzigjährige krebskranke Klara begleiten.

Susann Paszor schildert den Übergewichtigen am Anfang des Buches etwas tolpatschig. So, wie gut gemeint ist das Gegenteil von gut.

Auch da nimmt das Buch eine Wende, denn Klara weiß, wie es wahrscheinlich wohl vielen Hospitzpatienten geht, nicht, ob sie wirklich einen Sterbebegleiter will.

No na, so gelingt der Start etwas schwierig, obwohl Fred ja eine Supervisonsgruppe hat und da gibt es auch eine sehr aufmüpfige Theolgiestudentin namens Maria, die immer kritische Fragen stellt.

Fred hat auch eine Mappe, wo Unterlagen über Klara stehen, zum Beispiel die Telefonnummer der Schwester, die im Todesfall benachtrichtigt werden soll.

Sonst scheint es aber Spannungen zwischen ihr und Klara zu geben, über die Klara nicht spricht und nun hat Fred, das Buch spielt kurz vor Weihnachten, einen Einfall, der eigentlich ganz natürlich sein sollte, aber entsetzlich schiefgeht, er lädt beide Schwestern zu sich und zu seinem dreizehnjährigen Sohn Phil zu einer Weihnachtsfeier ein.

Klara verläßt, sobald sie die Schwester sieht, die Wohnung und bricht die Begleitung ab. Fred muß sich deswegen auch in der Supervisionsgruppe entsetzt ansehen lassen.

Wie kann man denn nur, diese Grenze überschreiten und wird stattdessen den Nachtwachen zugeteilt, wo man nichts mehr falsch machen kann.

Denn dort ist immer das Fenster offen, damit die Seele leichter hinausgleiten kann, wenn einer gegangen ist und solche Geschichten habe ich auch schon bei meinen Supervisionen gehört.

Klara hat aber vorher schon den dreizehnjährigen Phil, der ein heimlicher Dichter ist und Schwierigkeiten mit seiner esoterischen Mutter hat, die ihm immer Wachstumspräperate schickt, weil er ein wenig kleinwüchsig ist, engagiert, um ihre Fotos zu scannen.

Klara war Tänzerin oder Musikerin. In ihrer Wohnung hängen Bilder von einer Rockgruppe aus den Siebzigerjahren namens „Grateful Dead“.

Sie hat auch lange in Spanien gelebt,  einen Spanier geheiratet, so heißt sie Jenner-Garcia und ist erst zum Sterben wieder nach Deutschland zurückgekommen und so ist Phil eine Zeitlang, der Ersatz- Sterbebegleiter, weil Fred ja nicht mehr zu ihr darf.

Es gibt aber auch eine junge Frau namens Rona, die in in einem Cafe jobbt und sich in Prostituiertenkleidung von einem Maler im Haus malen läßt, was auch zu Mißverständnissen führt und einen Hausmeister namens Leo Klaffki, ein Althippie, der im Gegensatz zu Fred, die Rockband kennt und sich, um Klara kümmert, gibt es auch.

So ruft Leo Klaffki Fred auf einmal an, als Klara im Lift steckengeblieben ist und es dauern kann, bis der Reparaturdienst erscheint. Er soll kommen und sich mit Klara unterhalten.

So darf Fred wieder zu ihr und betreut zusammen mit Phil, der unbedingt noch alle Fotos einscannen will, obwohl die Zeit wahrscheinlich nicht mehr dazu reicht, in Verbindung mit dem Hausarzt und der Frau vom Pflegedienst, weiter Klara, die beschließt, ihr Sterben etwas zu beschleunigen, in dem sie nichts mehr ißt und trinkt.

Rona schläft bei ihr in der Nacht, Vater und Sohn wachen am Tag, der Hausmeister stiftet eine Fußballkerze. Phil, der ihre Kameria geschenkt bekommen hat, liest ihr vor und am Schluß übergibt Klara noch das Fotoalbum, das sie mit Achtzehn ihrer Schwester davongetragen hat und weshalb es vielleicht zum Bruch kam, damit er es an sie zurückschicken kann.

Ein sehr einfühlsames Buch, das alle Konflikte eines alltäglichen Leben leicht überhöht, wie es für einen Publikumsverlag wahrscheinlich sein muß, enthält und das ich allen, die sich mit diesem schwierigen Thema, das man, wie ich glaube, nicht verdrängen soll, weil es einen ja einholen und betreffen wird, nur empfehlen kann.

2016-10-05

Die Erziehung des Mannes

Ein Mann mit fünfundsechzig blickt zurück auf seine Leben, das kann doch nicht alles gewesen sein und das, ich bin noch nicht so weit, ist vorüber, jetzt sind die Kinder erwachsen, die ersten Beziehungen geschieden, die Jugendliebe wieder da, da Leben ist gelungen und das Todesdatum wird immer weiter hinausgeschoben.

Michael Kumpfmüllers „Die Erziehung des Mannes“, Buch vierzehn auf meiner Longleseliste, das ich schon in Leipzig auf dem blauen Sofa hörte, ich glaube beinahe zeitgleich mit Peter Stamms „Weit über das Land“, das als Buch achtzehn und vorläufig letztes der dBp-Bücher an die Reihe kommen wird, ist ein leises Buch, das Buch eines stillen Mannes, eines Zauderers und Sensiblen, der am Schluß doch noch alles auf die Reihe bringt oder solches zumindest von sich behauptet und wenn man von Michael Kumpfmüllers Geburtsdatum 1961 ausgeht, der Sohn eines Achtundsechziger, der in Zeiten studierte und sozialisiert wurde, wo es schon die Frauenbewegung gab und die Frauen sich emanzipierten, obwohl die Mutter den despotischen Vater noch fragen mußte, ob sie arbeiten gehen darf?

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Im Ersten ist Georg Musikstudent und lebt seit sieben Jahren mit Kathrin zusammen, zu der er, was ich ungewöhnlich finde, keine sexuellen Beziehungen hat, als er Jule oder Julinka in einem Seminar kennenlernt.

Eine Beziehung zu ihr, die Lehramt studiert, entwickelt sich, die von Anfang an, ein wenig schiwerig ist, so betrügt sie ihn mit einem Arzt, will dann Kinder von ihm, vorher hat sie schon einmal abgetrieben und als Georg sie mit Sonja, einer Cellistin betrügt, wirft sie ihn hinaus. Da gibt es schon Kinder, die altkluge oder ebenso sensible Greta und, die um ein paar Jahre jüngeren Zwillinge.

Im zweiten Teil geht es zurück ins Elternhaus, zum despotischen Vater, der nie zu Hause ist, die Mutter ständig betrügt, als Abteilungsleiter im Unterrichtsministerium Entscheidungen trifft und obwohl er selbst für den Krieg zu jung war, die Kinder zu Anstand und Sitte erzieht, so muß der Sohn mit ein paar Büchern unterm Arm Mittagessen, und wenn die Kinder der Freunde beim Essen schmatzen, bekommen sie die Ohrfeigen, die Mutter steht daneben und kann sich nicht wehren. Die Schwester Ruth rebelliert und hat in der Pubertät grüne und blaue Haare, Georg ist der brave, entscheidet sich dann aber doch gegen des Vaters Willen in Freiburg Musik und nicht Jus zu studieren.

Im Teil drei lebt er mit Sonja, der die musikalische Karriere gelungen ist und die die meiste Zeit des Jahres auf Konzertreisen ist, es gibt den Rosenkrieg mit Jule, die die Kinder gegen den Vater ausspielt.

Die verbringen die Zeit abwechselnd bei beiden Eltern und werden dadurch überfordert, Greta fängt zu lügen und zu stehlen an, die Zwillinge gehen nicht mehr in die Schule, es muß etwas geändert werden. Jule hat Georg schon früher zu einer befreundeten Paartherapeutin geschleppt, mit der sie ihm dann gemeinsam sagt, was für ein Schuft er ist.

Sonja hält die Überforderung durch die Kinder nicht aus, das eigene hat sie verloren, verläßt ihn später und er bleibt zurück.

Die Kinder werden erwachsen, Greta studiert Mathematik und wird Lehrerin werden, Lotte wird Schauspielerin und bekommt ein Kind, Felix hört zu schreiben auf und Georg trifft nach einer Krise Therese wieder, mit der noch vor dem Abitur, die erste Beziehung hatte.

Jetzt zieht er mit ihr zusammen, der Kreis schließt sich und die männliche Sozilisation in Zeiten der Krisen und der Frauenbewegung ist abeschlossen.

In diesem Fall glücklich und erfüllt und Georg, seine Symphonien und Konzerte werden auch aufgeführt, hat sein Ziel erreicht.

In vielen anderen Fällen wird es anders sein und Michael Kumpfmüller, der, glaube ich, mit Eva Menasse zusammen ist oder war, ist ja noch zehn Jahre jünger, als sein Held,  hat ein leises Buch geschrieben, das viel über die Mittelschichtmänner, die Softies, die vielleicht von Nazivätern aufgezogen wurden und im Laufe ihres Leben ihre Träume und Iedalen verloren oder aber wiederfanden, beziehungsweise immer hatten, erzählt.

Unterschiedlich ist die Rezeption natürlich, Tobias Nazemi fühlt sich darin angesprochen, die Frauen haben dagegen  mehr Schwierigkeiten und sehen es anders und mir hat es eigentlich gefallen, obwohl ich am Anfang auch dachte, da passiert ja nichts und der gute Georg ist ein ziemlicher Zauderer.

Also ein interessantes Buch, das den Männern und den Frauen vor und nach der Midlifekrise sehr zu empfehlen ist.

Von Michael Kumpfmüller habe ich übrigens schon „Nachricht an alle“ gelesen, das mir glaube ich, nicht so gefallen hat.

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